Die Magier: Das Epos Der Tuareg by Al-Koni Ibrahim

Die Magier: Das Epos Der Tuareg by Al-Koni Ibrahim

Autor:Al-Koni, Ibrahim [Al-Koni, Ibrahim]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783857877520
Google: ItdfygAACAAJ
Herausgeber: Lenos Verlag
veröffentlicht: 2011-07-14T22:00:00+00:00


2

Als die Erde bebte und tanzte, legten die Wüstenbewohner

„das Jahr der Erschütterung“ fest. Als die Dürre sich auf dem Kontinent ausbreitete und Hungersnot herrschte, nannten sie diese Zeit „die Jahre der Krise“. Als die Dschinnen die Grossmutter entführten, hiess es „das Jahr, in dem die Dschinnen die alte Râta entführten“. Die Verständigen, und besonders die Betagten unter ihnen, datierten danach lange Zeit die Ereignisse in der Wüste, und die Jüngeren übernahmen den Ausdruck und erkundigten sich nicht einmal mehr aus Neugier nach dem zugrunde liegenden Vorgang.

Selbst diejenigen Verständigen indessen, die die Gleichgültigkeit der Jüngeren für die Geschichte der Wüste bedenklich und leichtsinnig fanden, verziehen ihnen, wie ihnen selbst ihre Väter und Grossväter dergleichen in ihren Herzen verziehen hatten. Aber könnte der Enkel je jene sorgenvolle, finstere Miene vergessen, die er auf dem Gesicht der Mutter, dann des Vaters sah, die er danach auf den faltengezeichneten Gesichtern der alten Frauen las, nach jener Nacht, in der ihn der Schlaf überkommen und ihn davon abgehalten hatte, der Geschichte von der Dschinnenfrau bis zum Ende zu lauschen?

Als die Frauen das rätselhafte „Sie ist weggeflogen…“ herumflüsterten, schwärmten die Männer in die Wüste aus, um nach der verschwundenen Grossmutter zu suchen. Denn während die unerschrockenen Männer die Dschinnen erwähnten und die geheimnisvollen Dinge beim Namen nannten, waren die Frauen immer vorsichtiger und gingen den Bewohnern des Unbekannten aus dem Weg. Und während die Männer die Datumsbezeichnung „das Jahr, in dem die Dschinnen die alte Râta entführten…“ benutzten, bedienten sich die Frauen lieber der Umschreibung und der Andeutung und gebrauchten einen geheimnisvollen Ausdruck, der der Majestät der Bewohner des Unsichtbaren angemessen war:

„das Jahr, in dem die alte Râta unsichtbar wurde…“, als ob die Grossmutter aus freien Stücken verschwunden wäre, oder sie sprachen einfach von „dem Jahr, in dem die alte Râta fortflog…“, als ob die Grossmutter plötzlich, als Geschenk von jenen Feen und Dschinnenfrauen aus ihren hübschen Geschichten, Flügel bekommen hätte. All das taten sie mit grossem Geschick in Gedichten und Umschreibungen, weil sie fürchteten, die Bewohner der Finsternis könnten ihnen ein Leids tun. Auf diese Weise datierten die Menschen das Ereignis des Verschwindens.

Er konnte nicht wissen, warum ihm die Zeit diese finsteren Mienen für sein ganzes Leben ins Gedächtnis grub.

Rätselhafte, gespannte Mienen, die Furcht, Schmerz und die Ergebung in das vorgezeichnete Schicksal bargen. Vielleicht auch noch anderes, das er schon damals nicht verstand und das er sich auch später nicht ins Gedächtnis zurückrufen konnte.

Auf eines aber konnte er wetten, etwas, das er in den Augen aller las: Der ganze Stamm war davon überzeugt, dass es so kommen musste. Alle wussten, dass Dschinnenbesuche nie gut enden. Alle hatten dieses Schicksal für die arme alte Frau erwartet. Das stand deutlich in den Augen aller während der Tage, da die Männer nach seiner verlorenen Grossmutter suchten. Die Frauen drückten schweigend ihr Mitgefühl aus, die weisen Alten strichen ihm, mit Fingern wie Brennholz, voller Erbarmen über den Kopf und schenkten ihm zum Trost ein paar Datteln. Die anderen Kinder erklärten ihm, er werde nie mehr Gutenachtgeschichten hören, denn die Suche habe nichts ergeben.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.